23. April 2020

Geistlicher Impuls


Wie aus Bitterem Süßes wird (von Dr. Rex-Oliver Wagner, Prädikant Bad Tabarz)

Die deutsche Informationsstelle für Statistik teilt mit: 11,4 Kilogramm pro Jahr isst jeder von uns durchschnittlich davon. Teilt man dieses Gewicht durch 365 Tage, ergeben sich 31 Gramm pro Tag. Es sind keine Gelbe Rüben, auch keine Trauben, ich rede nicht von Salzkartoffeln, nicht von Wurst, sondern: Schokolade.
Seit 1520 ist dieser Luxusartikel bei uns bekannt. Damals wurde der Vorgänger der heutigen Schokolade nur von Apothekern und Konditoren hergestellt.
Heute werden Kakaobohnen in großem Stil gereinigt und geröstet. Danach erfolgt die feine Mahlung, bis eine flüssige Masse entsteht - die Kakaomasse. Dieses Rohmaterial ist noch ungenießbar -- es ist noch viel zu bitter zum Essen. 

Zur Kakaomasse werden Zucker, Milchpulver und Kakaobutter beigemischt. Wenn man die Schokolade in diesem Zustand essen würde, würde man merken, dass sie immer noch bitter schmeckt.  Deshalb folgt jetzt der entscheidende Schritt. Die Masse wird jetzt erwärmt und hin- und her gewälzt. Die Konditoren nennen das "conchieren".
Durch stundenlanges hin- und herbewegen gehen die Bitterstoffe aus der Schokomasse. Die Schokolade bekommt ihren zarten Schmelz. Je länger die Masse conchiert wird, desto besser wird nachher die Qualität.
Dieser Vorgang bei der Herstellung von Schokolade ist mir wichtig geworden.
Jesus will mein Leben bewegen, so dass alle Bitterstoffe in meinem Leben nach und nach entweichen. Mein Leben, das von Jesus bewegt ist, soll „zartschmelzend“ werden, weil Jesus es aus Liebe und in Liebe in Seinen guten Händen hält. Ein angenehmer Geschmack (Wohlgeruch), der auch andere Zeitgenossen ermutigt, auch ihr Leben in Seine wunderbaren Hände zu geben.
Der Bitterstoff der Schuld hat Auswirkungen auf allen Beziehungsebenen: zu Gott, zum Nächsten und zu mir selbst.
Jesus sagte einmal: „Wenn dir dort im Tempel einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass alles stehen und liegen und versöhne Dich zuerst mit ihm.“ Heftig. Das Opfertier ist gekauft oder sogar von zu Hause mitgebracht. Der Priester hat geprüft, ob alles in Ordnung ist. Jetzt alles stehen und liegen lassen?
Stellt dir vor, wie wichtig Gott Versöhnung ist. Wenn ich einem anderen Menschen gegenüber schuldig geworden bin, dann soll ich die Sache schnellstens in Ordnung bringen. Ich soll Dinge nicht auf lange Bank schieben.
Das hat oberste Priorität. Alles andere kann warten.
Versöhnung ist wichtiger als das Opfer.
Versöhnung ist wichtiger als Gottesdienst.
Versöhnung ist überhaupt die Voraussetzung für richtigen Gottesdienst.
Gott liebt Gemeinschaft so sehr. Darum legt ER so viel Wert darauf, dass geknickte Beziehungen wieder bereinigt und heil werden. Ihm tut es weh, wenn Streit, Neid und Bitterkeit dein Leben beeinträchtigen und dich krankmachen.
Schuld ist wie ein Virus, der auf Abstand bringt, der hochansteckt ist, aber gegen den es, Gott sei Dank, ein Heilmittel, eine Gesundkur gibt.
Gott bietet uns einen Ausweg an. Er freut sich, wenn wir Schritte aufeinander zugehen und so Seinen Frieden erfahrbar machen. Du und ich, wir sind aufgefordert, Verantwortung und Initiative zu übernehmen.
Wenn es um Versöhnung geht, sind wir zum Handeln aufgefordert. Häufig denken wir: „Soll der andere doch zu mir kommen. Ich will nicht immer den ersten Schritt machen“. Doch dieses Denken ist nicht im Sinne Jesu. In Mt 18 sagt Jesus: Wenn der andere ein Unrecht begangen hat sollen wir die Initiative übernehmen.
In dem Abschnitt aus der Bergpredigt heißt es: „Wenn Dir in den Sinn kommt, dass dein Bruder etwas gegen Dich hat, geh hin.“
Auf die Frage, wer den ersten Schritt machen soll, würde Jesus antworten: „Immer Du! Warte nicht, bis der andere kommt, sondern sei Du bereit. Tue es auch für dich selbst. Egal, ob Du Dich im Recht fühlst oder nicht. Geh hin! Verliere keine Zeit! Versöhnung hat oberste Priorität!“ Gerade da, wo du zur Stille kommst oder die Stille vor Gott suchst, beginnt ER zu DIR zu reden.
Ob jetzt die Kinder nerven, weil sie keine Lust zum Lernen haben, ob die Finanzen knapper werden und einschneidende Entscheidungen anstehen, bei einem schönen Stück Schokolade überlege dir doch heute: Wo will Jesus dich bewegen, um Bitteres bei IHM loszulassen?
Vertraut auf Jesus und bleibt behütet!
Dr. Rex-Oliver Wagner, ord. Prädikant Bad Tabarz

9. April 2020

Karfreitag 2020 - Statt einer Predigt ein offener Brief an Jesus


Liebster Jesus, mein Herr und Heiland,

vielleicht ist dieser Karfreitag in diesem Jahr 2020 der erste „wirkliche“ Karfreitag – zumindest ein Tag, der in seiner Stille und den vielen Einsamkeiten in den Wohnungen und Pflegeheimen dem Schrecken deines Todes näher ist als unsere bisherigen Versuche. 

Du ertrugst schlimmste Qualen. Auf deinen Lippen formtest du die Worte des 22. Psalms nach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ 

Wir haben einen Feiertag daraus gemacht – oder besser gesagt einen „freien“ Tag. Auftakt zu einem langen Wochenende. Und ja, wir haben uns geärgert über Fußballspiele an diesen stillen Tagen, die dann doch stattfanden, weil der Rasen vorher zu nass vom Regen war. Und auch in diesem Jahr sollte man heute den Fernseher lieber auslassen. Das „K.O.(Ostern)“ mit allerlei lustigen Actionfilmen läuft heute im Privaten an.

Aber auch wir, die wir als Christen zu dir stehen sollten, sind nicht frei von Schuld: Wir haben Kerzen entzündet, die Glocken läuten lassen, die Orgel gespielt und Lieder gesungen – so als wenn es ein normaler Sonntag gewesen wäre. War es aber nie – es war Karfreitag, der Tag deines Todes! Wir haben Predigten gehalten und gehört, haben gedeutet und ersonnen, wie wir das Schreckliche erträglicher machen. Wir haben Abendmahl gefeiert an diesem Tag, deine Gegenwart beschworen in den Stunden deiner schlimmsten Qual und Pein, als es selbst dir so schien, dass nicht einmal der Allmächtige an deiner Seite war.  Liebster Jesus, all das tut mir leid!

Die Situation heute zwingt uns in eine wirkliche Fastenzeit und einen langen Karfreitag. Ich glaube nun, zu verstehen, warum wir uns so an deinem Todestag vergangen haben: weil wir die Stille, die Ungewissheit, die Angst und den Schmerz so wenig ertragen! In deinem Tod und Leiden sehen wir millionenfachen Tod und millionenfaches Leiden unserer Lebenstage, auch das eigene. Wie schrecklich.

Und gerade in diesen Zeiten spüren wir, wie wenig selbstverständlich alles ist. Früher wurde es Sonntag für Sonntag gepredigt von unseren Kanzeln. Aber Gehör findet es in unserem übersättigten Land erst, wenn das Klopapier alle ist. Und, Herr, wie seltsam – es ruft die Menschen nicht zum Umdenken, sondern eine tumbe Masse, ähnlich der, die dich erst feierte und dann doch deinen Tod einforderte, fragt allen Ernstes: „Wo ist denn euer Gott? Denn es gibt kein Klopapier!“ Du weißt, lieber Jesus, ich denke mir das nicht aus. Da musst du nur einen Blick ins „Fratzenbuch“ werfen. Aber ich schweife ab, tut mir leid!

Im Ernst, dieser lange Karfreitag, diese Krisenzeit, der bringt so vieles an die Oberfläche, was wir gerne vermieden hätten oder lieber nicht spüren wollen – tiefe Unsicherheiten und Ängste, Konflikte und Wiedersprüche in uns selbst und – was verständlich aber oft noch schlimmer ist – mit den Menschen, die uns am nächsten sind. Ja, wir sind eine verkorkste Truppe hier auf Erden. Du kennst uns. Du kennst uns wahrscheinlich sogar besser als wir uns selbst. Denn du bist aus Gottes Schoß, du bist ER, Mensch geworden. Einer wie wir und du hast es selbst erlebt – wie grausam wir sein können. Du hast erleben müssen, wozu Menschen fähig sind, wenn man ihre gewohnten Abläufe und Strukturen infragestellt. Dabei kamst du mit nichts anderem als Liebe.

Sie haben dich einfach weggemacht, aus dem Weg geräumt. Medizinisch betrachtet bist du am Kreuz sehr wahrscheinlich erstickt, so wie die schwer an Covid19-Erkrankten – es sei dir und deinem Vater geklagt – jetzt, hier und heute ersticken. Ebenso unfreiwillig, ebenso grundlos. Jesus, dein Karfreitag ist eine harte Nuss. Dein Leiden und alles Leiden, dein Sterben und alles Sterben wiegt so schwer.

Ich merke, liebster Jesus, ich könnte dir heute einen Brief in der Länge eines Romans schreiben. Da gibt es so vieles, was mein Herz bedrückt und meine Seele schwer macht in diesen Tagen, vieles was ich nicht verstehe. Ich möchte dir stellvertretend für viele in unserer Welt sagen: Es tut mir leid! Es tut mir leid, dass wir so sind, wie wir sind: unfähig die Füße stillzuhalten, immer unzufrieden, weit über unsere Verhältnisse lebend, den Mitmenschen fertig machend, nicht klarkommend mit Stille und überhaupt uns selbst. Eigentlich sind wir es nicht wert, dass du uns liebst.

Und das ist überhaupt das Größte und Unvorstellbare: dass du uns trotzdem liebst! Dass du für uns das Kreuz auf dich genommen hast. Du liebst uns, obwohl wir sind, wie wir sind. Obwohl wir Klopapier hortende, ungläubige Monster sind, die – wenn wieder alles „Un-Corona“ ist – den Mitmenschen und die Natur mit Füßen treten.

So schwer es mir selbst auch fällt – es ist heilsam einen solchen wahren Karfreitag erleben zu dürfen. Und ich wünschte, es ginge eine neue Kraft davon aus für eine veränderte bessere Zukunft. Lass es Ostern werden – wenn es Zeit dafür ist – in dieser Welt und bei den Menschen, die du so unendlich liebst. Ich danke dir, dass du mich hörst. In Gedanken will auch ich heute bei dir sein, wenn du um uns, mit uns und durch uns leidest. Amen.

In tiefer Verbundenheit

Dein Philipp