Liebe
Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,
es ist
Palmsonntag und es beginnt die Karwoche – die letzte Woche auf dem Weg nach
Ostern. Diese Woche wird auch stille Woche oder heilige Woche genannt. Eine
wichtige und besondere Zeit für uns als Christen. Stille. Heilige Stille.
Stille Tage
und Wochen hatten viele unter uns ganz unfreiwillig in der letzten Zeit. Die
Maßnahmen, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen und ein Chaos zu
verhindern, haben viele Bereiche des öffentlichen und auch unseres privaten
Lebens zu absoluter Ruhe oder Stillstand kommen lassen.
Eine
Situation, die für uns alle völlig neu war und ist. Eine Situation, die auch
nicht einfach auszuhalten ist. Es braucht Geduld dafür. Und es braucht in jedem
Fall eine Hoffnung, die tragen kann.
Damals am
Palmsonntag war es so gar nicht still. Eben haben wir im Evangelium zu diesem
Tag vom feierlichen Einzug in Jerusalem gelesen. Die Menschen begrüßen Jesus
wie einen König in ihrer Stadt. Sie streuen ihm Palmzweige auf den Weg als
Zeichen ihrer Freude über sein Kommen und als Zeichen der besonderen Würde
dessen, der da kommt im Namen des Herrn.
Aber, liebe
Schwestern und Brüder, wir wissen doch, wie die Geschichte endet: Aus Jubel
wird Spott und Häme. Aus Begeisterung wird Verrat und Verleugnung. Der
einziehende König endet im Tod. Jesus wird gefangen, gefoltert, verurteilt und
hingerichtet. Punkt.
Aber auch
das ist noch lange nicht das Ende. Die Karwoche endet mit dem Ostersonntag.
Nach den finsteren Momenten des Leidens und des Todes wartet die Osterfreude –
der Tod ist überwunden, besiegt. Auferstehung am Ostermorgen.
Nun stellt
sich die berechtigte Frage: Wenn am Ende doch alles gut wird, warum quälen wir
uns dann mit diesen bitteren und enttäuschenden Episoden der Geschichte von
Jesus? Und zwar jedes Jahr von Neuem?
So berechtigt
diese Frage ist, so einfach ist sie auch zu beantworten. Weil die dunklen und
schweren Momente zum Leben einfach dazugehören. Und vielleicht ist das gerade
jetzt in diesen stillen und bangen Zeiten besonders gut zu empfinden. Ohne
Zeiten der Isolation keine Wertschätzung von persönlichen Begegnungen. Ohne
Krankheit keine Genesung. Ohne den Schmerz des Todes und der Trauer keine
Auferstehung.
Denken Sie
an einen Film, den Sie sehr mögen. Vielleicht haben Sie auch eine DVD von
diesem Film zu Hause, damit Sie ihn sich ab und an anschauen können – gerade
jetzt in dieser Zeit, in der nicht viel andere Unterhaltung möglich ist. Ich
würde mal behaupten, die meisten beliebten Filme haben ein gutes und
versöhnliches Ende.
Und doch
spulen wir nicht einfach vom Vorspann zum Ende vor, sondern lieben den Film
wegen seiner Geschichte, die er erzählt. Und da gibt es in jeder guten
Geschichte Höhen und Tiefen, große und kleine Katastrophen, Konflikte, die sich
zuspitzen, die gelöst werden müssen, da gibt es bittere Erfahrungen und bange
Zeiten, durch die die Helden durchmüssen. So ein Film erzählt immer auch etwas
von unserem eigenen Leben. Denn auch da ist eben nicht alles immer eitel
Sonnenschein ...
Weil die
Geschichte Gottes mit den Menschen in seinem Sohn Jesus Christus unser ganzes
Leben meint und nicht nur das Erfolgreiche, Schöne und Vorzeigenswerte, darum
ist es wichtig, Jesus auch mit unseren Herzen und Gedanken immer wieder auch
dahin zu begleiten in das, was wir gerne ausblenden würden – mitten hinein in Kummer
und Verrat, in Verlassenwerden und Ungerechtigkeit, in Leiden, Sterben und Tod.
Dafür ist in dieser Woche Zeit.
Am heutigen Sonntag wird uns die
Geschichte einer mitfühlenden Frau erzählt, die spürt, was es mit diesem Jesus
auf sich hat und die ihm aus überschwänglicher Liebe einen Dienst tut, der bis
heute unser eigenes Mitfühlen und Nachdenken herausfordert.
Bei Markus im 14. Kapitel hören wir
den Auftakt zu den letzten Stunden und Tagen im Erdenleben des Herrn:
„Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons
des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein
Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das
Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen
untereinander: „Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für
mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen
geben.“ Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach: „Lasst sie! Was bekümmert
ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei
euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht
allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt
zu meinem Begräbnis.
Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium
gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem
Gedächtnis, was sie getan hat.“
Ja, liebe Schwestern und Brüder, diese
Frau, deren Namen niemand kennt, sie salbt Jesus mit dem Besten, was es gibt.
Und darin liegt eine große symbolische Kraft. Denn in gleicher Weise wurden im
Alten Orient Könige gesalbt. Und das Wort „Christus“ bedeutet auf Deutsch nichts
anderes als „Gesalbter“.
Für die Frau war klar, dieser Jesus
ist etwas Besonderes. Vielleicht konnte und wollte sie es gar nicht in Worte
fassen. Doch was sie tut, sagt mehr als tausend Worte. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu
meinem Begräbnis, sagt Jesus.
Die Kenner der Geschichte von Jesus
wissen, die Frauen am Ostermorgen kommen tatsächlich zu spät zur Salbung des
Leichnams. Jesus war bereits nicht mehr unter den Toten, sondern auferstanden. Gut,
dass er im Voraus gesalbt wurde …
Diese namenlose Frau erkennt in Jesus
den von Gott gesandten Retter. Und sie spürt zugleich, dass es vielleicht das
letzte Mal ist, dass dieser Jesus so unbeschwert und unbehelligt mit seinen
Freunden beisammen sein kann. Sie spürt, dass dieser Weg kein leichter wird,
sondern schon bald in Leiden und Tod ein Ende nimmt. Ihre ganze Liebe und
Zuwendung stecken in dieser einen Tat.
Das Gefäß wird zerbrochen. Das ganze
kostbare Öl fließt auf den Kopf des Herrn. Diese Frau leidet mit dem, der für
alle Menschen leiden wird, um alle zu erlösen. Für den, der sein Leben
verschwendet und gibt für die Erlösung vieler, für den verschwendet sie sich in
ihrer Liebe!
Und damit sind wir bei einem Thema,
das ja ebenfalls in dieser kleinen Geschichte steckt: die Verschwendung! Das
Nardenöl, welches für die Salbung verwendet wurde, entsprach in damaliger Zeit dem
Jahresbruttoeinkommens eines einfachen Arbeiters.
Damit ist eigentlich schon gesagt,
dass es sich um einen unvorstellbaren Luxus gehandelt haben muss. Nun könnte
man ausrechnen, was das in Zahlen heute bedeuten würde. Aber genau das tun ja
alle, die Zeugen dieser ungewöhnlichen Frau und der Salbung des Herrn geworden
waren. Sie rechnen und rechnen und sind erzürnt: So eine Verschwendung!
Was hätte mit all dem Geld nicht alles
an Gutem bewegt werden können! Ja, Verschwendung kennen auch wir an allen Orten
und auch in unserer Zeit.
Unvorstellbare Mengen Lebensmittel werden
in Deutschland auf den Müll geworfen, weil einfach zu viel produziert wird. Was
für eine Verschwendung!
Wie viele Milliarden Euros werden allein
in Deutschland ausgegeben von Privathaushalten für Autos, Häuser, Feuerwerke an
Silvester, Urlaubsreisen und so weiter – Luxus, und andernorts sterben die
Menschen an Unterernährung! Was für eine Verschwendung!
Ich glaube, dass jeder von uns sich
irgendwie mit denen identifizieren kann, die damals dabeisaßen und sich
empörten: „Wie kann sie nur? So ein Skandal! Denkt sie denn nicht an die Armen!
Wozu dieser Luxus, das braucht doch kein Mensch! Gibt es denn nichts
Wichtigeres hier und jetzt?“
Jesus aber sprach: „Lasst sie! Sie hat ein gutes Werk an mir
getan. Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen
Gutes tun; mich aber habt nicht allezeit!“
Nun könnte man entgegnen: Ist das
jetzt nicht ein bisschen egoistisch von dir, Jesus?
Aber erinnern wir uns: Jesus hat uns das
Doppelgebot der Liebe ans Herz gelegt. Da steht zu aller Anfang: Du sollst Gott
lieben von ganzem Herzen und ganzer Seele mit all deiner Kraft und deinem Tun.
Das ist das Erste, liebe Gemeinde!
Gott lieben. Und wie anders begegnet uns Christen denn Gott, wenn nicht in
seinem lebendigen Wort, dem Menschen und Heiland Jesus Christus?
Danach erst kommt die Liebe zum
Nächsten, die ebenso stark sein möge, wie die Liebe zu uns selbst. Die
Reihenfolge ist entscheidend. Unsere Liebe, unsere Gedanken und
Herzensbewegungen sollten Jesus gewidmet sein.
Nachspürend und empfindend, was er für
dich und mich an Leiden und im Todeskampf durchstanden hat. Nur wer aus der
Quelle lebt, wird nicht ausbrennen. Nur wo die Liebe zu Gott am Anfang steht,
wird es möglich, auch für die da zu sein, die meine Hilfe nötig haben.
Lasst uns in dieser ernsten und
stillen Woche in unseren Herzen mit Jesus ziehen. Lasst uns bei ihm sein und
wachen. Damit wir tiefer verstehen, was er für uns getan hat. Je tiefer wir
mitleiden mit dem leidenden Herrn, umso freudiger und klarer, umso schöner und
lichter der Ostermorgen und die Osterfreude.
In solchem geistlichen Mitgehen
erleben dann auch wir für unser Leben, dass auch wir in den dunkelsten Momenten
niemals allein sind. Gott ist dabei. Er ist mit uns. An uns ist es, auch bei
ihm zu sein in seiner größten Not. Darin möge uns die geheimnisvolle Frau mit
ihrer verschwenderischen Liebe ein Beispiel sein, von der Jesus selbst sagt:
Wahrlich, ich sage euch: Wo immer das
Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das
weitererzählen, was sie getan hat – zu ihrem Gedächtnis. Amen.